Zum Untergang des Dritten Reiches

Der Cottbusser Textiluntermer Hans Kehrl machte nach 1933 rasch Karriere in der NSDAP und in der SS. Als Chef des Planungsamts, war er schließlich der 2. Mann im Reichswirtschafts- und Rüstungsministerium. In seinen Erinnerungen erwähnt er auch die Lage bei den Treibstoffen und die Förderung der Holzvergaser. Allerdings übertreibt er seine eigene Rolle maßlos und gibt ein verzerrtes Bild der Intentionen.


 

Neue Weichenstellung fur die Wirtschaft

Neben der alles überschattenden Frage der Versorgung der Wehrmachtsteile mit dem notigen Treibstoff waren wir nach dem Mai 1944 natürlich auch mit dem verwickelten Problem befaßt, wie der Nah- und Fernverkehr im Reichsgebiet — soweit er durch motorisierte Fahrzeuge erfolgte — in Zukunft sichergestellt werden konnte.

Diese Frage war verflochten mit dem Kraftstoffbedarf der Wehrmacht, die in der Heimat stationiert war.

Denn deren Verbrauch sollte zugunsten des Frontheeres von der Wehrmacht selbst herabgedrückt werden, um die Kürzung, die sich an der Front bemerkbar machen würde, so niedrig wie moglich halten zu konnen. Mitte Mai, als die Angriffe auf die Hydrierwerke begannen, waren die Treibstoffkontingente für die Wirtschaft für Juni bereits ausgegeben und über das Reichsgebiet verteilt.

Das Gesamtkontingent „Wirtschaft“, wie wir in einem Sammelnamen den Verbrauch von etwa 25 Unterkontingentsträgern bezeichneten, betrug beim Vergaserkraftstoff etwa 20 % des Wehrmachtskontingents, beim Diesel hatte er bisher sogar etwas hoher gelegen als das Wehrmachtskontingent. Trotz standigen Drangens unsererseits hatte die Wehrmacht bis dahin einer fühlbaren Umstellung ihres Kraftfahrzeugparks von Benzinfahrzeugen auf Dieselfahrzeuge zähen Widerstand entgegengesetzt, von Holzgeneratoren ganz zu schweigen.

In der Wirtschaft hatten wir diese Umstellung mehr forcieren konnen, so daß das Schwergewicht des Flüssigtreibstoffverbrauches in der Wirtschaft beim Diesel lag. Die Vergaserkraftstoffzuteilung wurde für die Gesamtwirtschaft im III. Quartal auf 15 % der Wehrmachtszuteilung herabgedriickt. Aber irgendwie mußte hierfür ebenso wie für die Kürzung des Dieselkontingents Ersatz geschaffen werden.

Die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens, ja des Lebens überhaupt, war entscheidend von dem motorisierten Nah- und Fernverkehr abhangig. Auf Veranlassung von Feldmarschall Keitel nahm ich Fühlung mit Generalmajor Koll auf, der im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht eine straffe Zusammenfassung des Wehrmachtskraftwesens, das bisher auf die drei Wehrmachtsteile zersplittert war, betrieb.

Wir waren uns auch mit dem Reichsverkehrsministerium schnell daruber einig, daß bis zu einem gewissen Grade der Transportbedarf des Heimatheeres und der Wirtschaft eine Einheit darstellte und daß umfassende organisatorische MaBnahmen getroffen werden mußten, um den Gütertransport durch LKW auf eine viel rationellere, weniger individualistische Basis zu stellen als bisher. Das konnte nur dadurch geschehen, daß in moglichst weitem Umfang regionale Transportgemeinschaften gebildet wurden, die als Güterfahrbereitschaften den Verkehr fur all die wirtschaftlichen Unternehmen, öffentlichen Institutionen usw. besorgten, die vom eigenen Fahrzeugbetrieb abgeschaltet werden mußten. Durch stete Vollauslastung der noch fahrenden LKW und Vermeidung von Leerrückfahrten sollte mit viel weniger Treibstoff die gleiche Gütermenge bewegt werden. Soweit nicht schnell genug andere praktikable Losungen örtlich auf freiwilliger Basis gefunden werden konnten, erklarte Koll die Bereitschaft der Wehrmacht, auch Wirtschaftstransporte durch ihre zu erweiternden Fahrbereitschaften durchzuführen.

Diese organisatorische Weichenstellung erschien mir noch aus einem anderen Grunde notwendig. Wir ver fiügten über einen Treibstoff, dessen Möglichkeiten bisher nicht annahernd ausgeschopft waren: das Holz. Es waren brauchbare Typen von fahrbaren Holzgeneratoren entwickelt worden, die seit Jahren in kleinerem Umfang im Einsatz waren und sowohl für Gütertransporte als auch Busse und Personenwagen benutzt werden konnten. Aber die Generatoren waren nicht weit genug verbreitet. Der Generator war unbeliebt, well er mühselig war. Das Gas konnte nicht gespeichort werden. Es mußte erst der Verbrennungsvorgang im Generator in Gang gesetzt und etwas gewartet werden, bis das Fahrzeug abfahren konnte. Wahrend der Fahrt mußte das Faiirzeug von Zeit zu Zeit angehalten werden, um im Generator zu stokern und den Verbrennungsvorgang in der richtigen Form aufrechtzuerhalten. Der Fahrer war also gleichzeitig eine Art Heizer.

Ich kannte das Problem genau, well ich mir seit langerer Zeit für weitere Fahrten einen Wagen mit großem Hubraum (bei kleinem Hubraum funktionierte das Holzgas ziemlich schlecht), einen alten Horch, auf Generator hatte umbauen lassen. Die Konzentrierung des Transportwesens gab nun eine willkommene Gelegenheit, die Umstellung auf Generatoren zwangsweise durchzufuhren.

Dor schnelleren Ausdehnung des Holzgasgenerators im motorisierten Verkehr hatte auch bisher immer im Wege gestanden, daß das Tankholz durchaus nicht immer zur Verfügung gestanden hatte. Es fehlte also an „Holztankstellen“ und an gut aufbereitetem Tankholz. Ich maß der Forcierung dieser Entwicklung große Bedeutung bei. Denn ich war davon uberzeugt, daß wir in der Kriegszeit und auch in den ersten Jahren nach einem verlorenen Krieg standig unter Treibstoffmangel leiden würden. Es mußte also zu diesem Zweck eine Organisation geschaffen und noch vor Kriegsende konsolidiert werden. Daher sollte die Festkraftstofferzeugung und Verteilung jetzt schon im organisatorischen und weisungsmäßgen Zusammenhang mit Flüssigtreibstoff stehen.

Letztlich lief es ja doch darauf hinaus, daß den Verkehrsberechtigten die Berechtigung, Flüssigtreibstoff zu verwenden, entzogen und als Ersatz Festtreibstoffversorgung angeboten werden sollte. Diese Überlegungen wurden in den ersten drei Wochen des Juni zum Abschluß gebracht und die anordnungsmäßigen Folgerungen daraus gezogen. Bei dem Umfang der Auswirkungen hielt ich es fiir notwendig, das neue System von der Zentralen Planung sanktionieren zu lassen. Speer sollte personlich die notwendigen Weisungen mit seiner Autoritat decken.

Am 30.6.1944 erlauterte ich gemeinsam mit Koll diese Ideen. Die Zentrale Planung sanktionierte die Absichten, die von mir zum Teil in „Führererlasse“ gegossen wurden. Eine Umstellung auf Generatoren auf breiter Basis war ja auch davon abhangig, daß nicht nur genugend Holz eingeschlagen, sondern auch aus dem Walde gebracht und von entsprechenden Produktionsstätten auf Tankholz umgearbeitet und regional ausreichend gestreut angeboten wurde.

Die ins Stocken geratene „Holzbringung“ aus dem Wald an die Bedarfsstellen wurde durch den Einsatz eines „Reichsbevollmachtigten für die Holzbringung“ wieder flottgemacht. Durch Erlaß von Speer als GB Rüst wurde mir unter dem 30.6.1944 die Lenkung der gesamten „Festkraftstoffwirtschaft“ übertragen. Nachdem ich für die Durchfiihrung des Problems genügend Kenntnis gesammelt hatte, erließ Speer unter dem 10. August eine Durchführungsanordnung, die das Aufgabengebiet im einzelnen klarlegte. Bis der Holzeinschlag und die Bringungsaktionen im Gang waren, hatte ich mit den Herren meiner Ämter in allen Einzelheiten ein Schema besprochen, wie die Tankholzaktion ablaufen sollte. Dazu wurde von mir schliefilich am 1. September eine eingehende Weisung erlassen.

Mit dem Erlaß übertrug ich meinem langjahrigen bewahrten Mitarbeiter, meinem Generalreferenten fiir Sonderaufgaben Dr. Dorn, der in organisatorischen Fragen besonders begabt war, die gesamte Planung auf diesem Gebiet und übertrug ihm auch die Verantwortung fiir das Verteilungswesen der Festkraftstoffe. Es kam vor allem darauf an, moglichst schnell regional funktionierende Organisationen ins Leben zu rufen, da vorauszusehen war, daß sehr bald eine zentrale Steuerung nicht mehr moglich sein würde. Einzelne Gebiete entwickelten sich zu einer Art Verkehrswüste. Die normalen Kommunikationen f unk- tionierten nur noch schleppend. Die Auflösung des Reichsgebietes in auf sich selbst angewiesene Teilgebiete war nur noch eine Frage der Zeit.

Wieder gelang es Dr. Dorn noch in diesem Stadium des Krieges, brauchbare, tatkraftige Männer fiir die Organisation zu finden, zum Teil aus den Reihen derer, die in der Ostfaser inzwischen frei geworden waren. Im Oktober 1944 waren circa 112.000 mit Generatoren ausgerüstete Fahrzeuge im Einsatz und die Zahl stieg noch bis in das erste Quartal 1945 laufend an.

Seit Beginn des zweiten Quartals 1944 hatten das Kriegsgeschehen und die erfolgreichen Angriffe auf die Treibstoffindustrie die gesamte Lage vollig verandert. An der Ostfront hatte die sowjetische Sommeroffensive gegen die Heeresgruppe Mitte und gegen Finnland die deutsche Front in schwerste Bedrängnis gebracht und Finnland in den ersten Septembertagen zum Ab- schluß eines Waffenstillstandes gezwungen. Auch Rumänien führte einen Frontwechsel durch. Die russische Offensive gegen Südpolen war ebenfalls erfolgreich.

Am 6. Juni hatte die alliierte Invasion in der Normandie begonnen. Anfang Juli befand sich schon beinahe eine Million Mann in dem standig sich erweitemden Brückenkopf, von dem aus schließlich Ende Juli der Ausbruch in das franzosische Gebiet und damit der Bewegungskrieg in Frankreich erzwungen wurde. Durch das Schrumpfen des von uns beherrschten Raumes und die Treibstoffmisere hatte ein Teil der bisherigen Rüstungsziele seinen Sinn verloren. Und gerade im Juni und Juli hatten fast alle Zweige der Rüstung ihre hochsten Ausstoßzahlen seit Beginn des Krieges erreicht. Aber was sollte es fur einen Zweck haben, die Produktion zum Beispiel der Flugzeuge und Panzer noch weiter zu steigern, wenn kein ausreichender Treibstoff zur Verfügung stand. Es hatte auch keinen Zweck, die Munitionserzeugung weiter vorwartszutreiben, wenn der Sprengstoff nicht ausreichte.

Bei der Kriegslage war das stürmische Drangen der Wehrmacht auf Freigabe der uk-gestellten jüngeren Jahrgange auch aus der Riistungsindustrie nur allzu verstandlich. Schon im Jahre 1943 hatte ich selbst ein ganzes Bouquet von Maßnahmen zur Freisetzung von Reserven in der Rüstungswirtschaft ausgearbeitet. Teils konnte ich mich damals noch nicht damit durchsetzen, teils blieben die akzeptierten Anregungen wegen der Erkrankung Speers liegen. Einige zog ich jetzt aus der Schublade. Sie wurden nun sofort ohne viel Diskussion und Widerstande in die Tat umgesetzt.

Hans Kehrl, Chef des Planungsamte, ehmals 2. Mann im Reichswirtschafts- und Rüstungsministerium

Verlag fiir Volkstum und Zeitgeschichtsforschung 4973 Vlotho/Weser Postfach 1643


 

Zu seiner Rolle: Ein Parteibuch-Industrieller

Biografie: Der Manager der Kriegswirtschaft von Rolf-Dieter Müller (Autor)1999

Der Cottbusser Textilfabrikant Hans Kehrl war einer von ihnen. Seit seiner ersten Begegnung mit Hitler im Jahre 1932, hatte er sich bedingungslos der Sache des Führers verschrieben. Zunächst noch Präsident der IHK Niederlausitz, stieg er ab 1935 in höchste Wirtschaftsämter auf und machte zugleich in der SS Karriere. Ab 1943 war Kehrl als quasi „Generalstabschef“ von Rüstungsminister Albert Speer der eigentliche Organisator der deutschen Kriegswirtschaft. Ein Mann, der beste Aussichten hatte, nach dem „Endsieg“ Wirtschaftsminister eines „Großgermanischen Reiches“ zu werden.

Ohne großindustriellen Hintergrund und ohne eine eigene Hausmacht in der NSDAP hatte Kehrl die höchste staatliche Position erreicht, die ein Unternehmer im Dritten Reich erklimmen konnte. Er gehörte damit zu den wichtigsten Verantwortlichen, die Hitlers Raub- und Vernichtungskrieg ermöglichten.

Die historische Bedeutung Kehrls erschöpft sich freilich nicht in seiner Rolle als „Generalstabschef“ Speers. Mit seinem Ehrgeiz, zum Schöpfer einer gelenkten Wirtschaft zu werden, hat er dazu beigetragen, Unternehmerschaft, Staatsverwaltung und Politik an neue Formen der Zusammenarbeit zu gewöhnen, und Entwicklungen gefördert, die über das Dritte Reich hinausweisen.

Rolf-Dieter Müller reißt die jungen Manager der Kriegswirtschaft aus ihrer Anonymität. Mit Hans Kehrl verleiht er ihnen ein Gesicht. Obgleich Kehrl in seinem steilen, persönlichen Aufstieg und Fall eine Ausnahmeerscheinung geblieben ist, steht seine Biographie doch stellvertretend für eine ganze Generation deutscher Unternehmer.–Stephan Fingerle

 

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