XXXV. Ueber Leuchtgas aus Holz.
Seit dem 19. März d. J. ist die Beleuchtung des Eisenbahnhofes in München mit Holzleuchtgas in ununterbrochenem Gang. Die Darstellung eines stark leuchtenden Gases aus der Pflanzenfaser überhaupt, znnächst aber aus Holz, ist ein Gedanke von Prof. Max Pettenkofer in München, welcher darauf verfiel ein Princip in den Kreis der trockenen Destillation zu ziehen, was bisher nicht dabei in Anwendung war.14 Die gegenwärtig etwas über zwei Jahre alte Erfindung dieses Holzleuchtgases hat sich in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit den Weg ins praktische Leben gebahnt, was wohl vorzüglich daher rührt, daß sich Männer fanden, welche so viel Vertrauen in die Idee setzten, daß sie, trotz alles Abmahnens und aller Vorurtheile von anderer Seite, ihre Kräfte vereinten um die Beleuchtung des Münchener |142| Eisenbahnhofs mit Holzgas auf eigene Kosten zu unternehmen; mit Pettenkofer vereinigten sich nämlich hierzu die HHrn. Ruland, Oberingenieur bei der k. b. Eisenbahnbau-Commission (welcher sich schon bei dessen Versuchen im Kleinen betheiligt hatte), v. Pauli, Oberbaurath und Vorstand der k. b. Eisenbahnbau-Commission, beide in München, Riedinger, technischer Director der mechanischen Baumwollspinnerei in Augsburg, und Riemerschmid, Fabrikbesitzer in München.
Wenn sich bei den ersten Versuchen eine neue Sache im Großen auszuführen, Hindernisse und Mängel zeigen, so wird das keinen erfahrenen Techniker wundern; denn wie viele nicht vorherzusehende Schwierigkeiten sind bei der Einführung eines neuen Systems in irgend einem Fabricationszweige zu besiegen, um einen ungestörten ökonomischen Betrieb zu sichern! So erging es auch dem Holzgase, welches contractmäßig bereits im December v. I. ins Leben treten sollte. Es zeigte sich bei den ersten Versuchen im Großen, daß mit den bestehenden Vorrichtungen den Principien der Methode nur unvollständig Genüge geleistet wird, und die aus den gemachten Erfahrungen sich als nothwendig ergebenden Aenderungen nahmen wieder so viel Zeit in Anspruch, daß die Beleuchtung des Bahnhofs erst am erwähnten Tage ins Leben treten konnte.
Wir haben vor einiger Zeit diese erste kleine Holzgasanstalt besucht, und nach gewonnener Einsicht ins Detail der Production sie mit der festen Ueberzeugung verlassen, daß die Entdeckung sich bereits auf der Höhe befindet, daß ihrer allgemeinen Verbreitung und Benützung in nicht zu holzarmen Gegenden vernunftgemäß nichts mehr entgegenstehen kann.
In der Holzgasanstalt des Bahnhofs in München wird gegenwärtig mit einer einzigen Retorte gearbeitet, welche aber solche Dimensionen hat, wie sie für das größte Gas-Etablissement passen, und allein schon den gegenwärtigen Gasbedarf des Bahnhofs vierfach liefern könnte; es lassen sich daher aus ihren Leistungen unmittelbar Berechnungen für einen großen Betrieb entwickeln. Sie faßt einen Centner gespaltenes Holz und liefert in der Stunde mindestens 350 bis 360 Kubikfuß Gas in den Gasometer. In 1½ bis höchstens zwei Stunden ist eine Beschickung (1 Cntr. Holz) abgetrieben, welche 650 bis 700 Kubikfuß Gas, je nach der Qualität des Holzes, liefert. Die Feuerung geschieht lediglich mit Torf, und sie kostet per Stunde, während Gas gemacht wird, 9–10 kr. für diese einzige Retorte; wenn |143| zwei oder drei Retorten in demselben Ofen liegen würden, so müßte sich der Feuerungsaufwand für jede einzelne Retorte nicht unbedeutend vermindern. Die in der Retorte erzeugte Holzkohle (19 bis 20 Proc. vom Gewichte des angewandten Holzes) wird glühend ausgekrückt, und in Blechkästen mit genau schließenden Deckeln zum Erkalten an die Luft gestellt. Die Föhrenkohlen, welche gegenwärtig in der Holzgasanstalt gewonnen werden, sind vollständig ausgebrannt und ebenso gut als die Meilerkohlen, daher von den Gewerbsmeistern sehr gesucht. Von der Retorte aus geht das Gas durch die Theervorlage, den Condensator und den Kalkreiniger in den Gasometer. An Theer erhält die Holzgasanstalt 5–7 Procent vom Gewicht des angewandten Holzes; derselbe ist von vorzüglicher Qualität; wir haben Holz und Eisen damit angestrichen gesehen, und den Anstrich ebenso compact und glänzend gefunden wie von dem geschätzten Offenbacher Asphaltfirniß. Die Lichtstärke des erzeugten Holzgases ergab bei einer Messung die in einem Bureau des Bahnamtes amtlich erhoben wurde, 15½ Wachskerzen für einen Flachbrenner, der stündlich fünf bayerische Kubikfuß ( = 4 2/5 engl. Kubikfuß) verzehrte, und ist somit etwas größer als die Leuchtkraft des Augsburger Steinkohlengases, welches bei gleichem Gasverbrauch die Helligkeit von 11 bis 13 Wachskerzen (wovon fünf 1 Pfund wiegen) liefert.
Diese Angaben wurden bereits von mehreren Technikern geprüft, und deren Erwartungen nicht nur befriedigt, sondern noch übertroffen.
Hr. v. Breisach in Augsburg, welcher im Auftrage des Augsburger Magistrats über die neue Leuchtgasbereitung Bericht zu erstatten hatte, erhielt bei einem von ihm selbst geleiteten Versuche in der Holzgasanstalt am k. Eisenbahnhofe zu München folgende Resultate:
1 Ctr. trockenes Föhrenholz | = | 759 | Kubikfuß gereinigtes Gas. |
= | 20 | Pfd. Kohlen. | |
Zeitdauer der Destillation | = | 65 | Minuten. |
Aufwand an Brennmaterial | = | 74 | Pfd. Torf. |
Die Lichtstärke des Gases bestimmte er durch das Verhältniß zum Münchener Steinkohlengase, indem er photometrische Untersuchungen beider Gase mit der nämlichen Gasuhr, den nämlichen Kerzen und nach der nämlichen Methode ausführte. Hiernach entwickelte das Holzgas um ein Fünftel mehr Helligkeit, als ein gleiches Volum Steinkohlengas.
|144| Hr. Gruner, technischer Director der Steinkohlengasfabrik in Nürnberg, besuchte gleichfalls die Holzgasanstalt in München, um sich von der Wahrheit obiger Resultate zu überzeugen, und führte selbst einen Versuch mit gewöhnlichem Föhrenholz aus. Er fand:
1 Ctr. Holz = 710 Kubikfuß Leuchtgas.
Zeitdauer der Destillation = 75 Minuten.
Leuchtkraft eines Flachbrenners, welcher per Stunde 4,7 bayer. Kubikfuß (4⅛ engl. Kubikfuß) Gas verzehrte = 14 Wachskerzen, wovon 5 auf 1 Pfd. gehen.
Hr. Breitenbach, Gasingenieur des Hrn. Specker in Wien, fand:
1 Ctr. Föhrenholz = 709 Kubikfuß Leuchtgas.
Zeitdauer der Destillation = 58 Minuten.
Leuchtkraft eines Flachbrenners, welcher per Stunde 4,7 bayer. Kubikfuß Gas verzehrte = 20 Wachskerzen.
Vergleicht man diese Ergebnisse des Holzgases mit denen der Fabrication des Leuchtgases aus Steinkohlen, so erblickt man für unsere Gegenden unerwartet günstige Resultate auf Seite des Holzgases. Das hervorragendste ist die Schnelligkeit der Gasproduction aus Holz. Eine Steinkohlengas-Retorte liefert stündlich höchstens 180 Kubikfuß Gas, während eine Holzgasretorte stündlich 360 Kubikfuß Gas liefert.
Man wird deßhalb, um die Beleuchtung einer Stadt zu betreiben, nur die Hälfte Retorten, also auch nur die Hälfte Feuerung und Bedienung für die Oefen bedürfen, als bei Bereitung des Gases aus Steinkohlen. Zunächst ist die bedeutende Gasmenge welche das Holz liefert, im Gegenhalte zum Ankaufspreise, von Wichtigkeit. Der Centner (sächsischer) Steinkohlen, sowie sie in Augsburg und München zur Gasfabrication bezogen werden, liefert in günstigen Fällen 500 Kubikfuß Gas, und kostet in Augsburg 1 fl. 6 kr., während ein Centner Föhrenholz 700 Kubikfuß Gas liefert und der Holzgasanstalt 15 bis 20 kr. kostet (wonach die Klafter auf 5 fl. 30 kr. und 7 fl. 20 kr. zu stehen käme). Aber selbst wenn die Klafter Föhrenholz 10 fl. kostet, so kommt der Centner bloß auf 27 kr., und man erhält aus 27 kr. Holz 40 Proc. mehr Gas als aus 1 fl. 6 kr. Steinkohlen — mit andern Worten: um aus Steinkohlen eine gleiche Menge gereinigtes Leuchtgas wie aus 27 kr. Holz zu erhalten, bedarf man 1 fl. 33 kr. Steinkohlen, welche Zahlen sich verhalten wie 1 : 3 2/5. Da der Werth des Pettenkofer’schen Holzgases bezüglich der Leuchtkraft dem |145| Steinkohlengase keinenfalls nachsteht, ja sogar etwas vorgeht, so könnte ein für das letztere günstiger Calcul nur aus dem Werthe der Nebenproducte — Kohks und Theer — entstehen. Nun weiß man aber bei allen Steinkohlengasfabriken, daß gerade diese beiden Artikel flauen Abgang finden, besonders die in größter Menge abfallenden Kohks, welche stets von geringer Qualität sind, da erfahrungsgemäß gutes Leuchtgas schlechte Kohks bedingt und umgekehrt. Der Werth der Holzkohlen steht aber allenthalben in gleichem Verhältnisse zum Werth des Holzes. Daß bei Beleuchtung einer Stadt mit Holzgas der gegenwärtige Kohlenpreis dadurch sinken würde, ist nicht zu erwarten; denn eine Holzgasfabrik, welche Städte wie München und Augsburg beleuchtete, würde noch nicht 10 Procent der für diese nöthigen Holzkohlen erzeugen. Das Gasgeschäft der Stadt Augsburg z. B. würde mit 1½ Klafter Föhrenholz als tägliches durchschnittliches Gasmaterial hinlänglich versorgt seyn, woraus etwa 6½ Centner Holzkohlen täglich resultiren würden. Was den als Nebenproduct gewonnenen Theer betrifft, so hat bei uns der Holztheer viel größeren Werth als Steinkohlentheer. Anstatt des Ammoniakwassers der Steinkohlengas-Fabriken erhält man bei Holz als Condensationswasser Holzessigsäure, welche bei einem Gehalt von 8–9Proc. Essigsäurehydrat jedenfalls so werthvoll ist als schwaches Ammoniakwasser.
Die Eigenschaften des Holzgases anlangend, können wir alles bestätigen, was Prof. Pettenkofer vor mehr als einem Jahr in einer öffentlichen Versammlung des polytechnischen Vereins in München (bayerisches Kunst- und Gewerbeblatt, Februarheft 1850) darüber angegeben hat. Weder bei der Bereitung noch bei dem Verbrauche des Holzgases verstößt man so leicht gegen die sanitätspolizeilichen Vorschriften wie bei einem Betrieb mit fossilen Kohlen. Das Holzgas hat einen durchaus nicht unangenehmen Geruch; es enthält selbst im ungereinigten Zustande weder Ammoniak noch Schwefelwasserstoff, noch Schwefelkohlenstoff, und erzeugt deßhalb bei seiner Verbrennung nicht eine Spur von schwefliger Säure; während der Schwefelkohlenstoffgehalt des Steinkohlengases, für den noch keine genügende Reinigungsmethode erfunden ist und der deßhalb in der Regel bei der Reinigung gar nicht eigens beachtet wird, bei der Beleuchtung so viel schweflige Säure liefert, daß zarte Farben (besonders auf Seidenstoffen) Pflanzen etc., erfahrungsgemäß davon alterirt werden. Das Holzgas theilt den großen Vortheil, frei von allen schwefelhaltigen Substanzen zu seyn, und bei der Verbrennung nur Kohlensäure und Wasser zu liefern, mit dem theuren Oelgas und Harzgas. Auch verliert das Holzgas nicht an Leuchtkraft |146| durch selbst mehrwöchentliches Aufbewahren im Gasometer und ebensowenig durch Abkühlung unter den Gefrierpunkt des Wassers.
Als Pettenkofer mit seiner Idee der Holzgasbeleuchtung hervortrat, behaupteten selbst Techniker und Gasingenieure geradezu, daß es unmöglich sey, aus Holz ein hinlänglich leuchtendes Gas zu gewinnen, denn alle bisherigen Versuche mit Holz verschiedener Gattung hatten nur Gas von sehr geringer Leuchtkraft ergeben. Man bezog sich vorzüglich auf die bekannten Versuche des Franzosen Le Bon, welcher mit einem Apparate, Thermolampe genannt, die Zwecke der Beleuchtung und Beheizung mit einander verbinden wollte; solche Thermolampen wurden zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts auch in Deutschland angewendet, z. B. in Nürnberg, Regensburg, Wien, Freiberg etc.; es zeigte sich aber sowohl das Princip als der Apparat unpraktisch, und die Qualität des Gases war so gering, daß man, um nur einige Helligkeit hervorzubringen, fußhohe Flammen haben mußte, so daß das schlechte Licht auch sehr theuer zu stehen kam. Hiernach bildete sich auch die theoretische Ansicht aus: die Zusammensetzung der Holzfaser sey von der Art, daß daraus nie ein Leuchtgas entstehen könne. Kein Wunder, wenn man das Holzgas nun mit entschiedenem Zweifel an seiner Leuchtkraft aufnahm, und Pettenkofer’s gelungenen Versuchen im Kleinen wenig Beweiskraft für den Betrieb im Großen beimaß. Als nun aber die glücklichen Versuche, welche der technische Director der mechanischen Baumwollspinnerei in Augsburg, Hr. Riedinger, im verflossenen Januar mit dem Pettenkofer’schen Holzgas anstellte, das Gegentheil erwiesen, und als es auch mit der Beleuchtung des Münchener Bahnhofes Ernst werden wollte, suchte man das Publicum mit der Behauptung zu schrecken: das Holzgas komme viel zu theuer und sey in nationalökonomischer Hinsicht ein Verderben, weil es die Holzpreise enorm erhöhen würde. Aus obigen Daten ergibt sich wie verhältnißmäßig wenig Holz man zu einem bestimmten Gasquantum bedarf, und dann wird, nachdem man das Gas gewonnen hat, der ganze Kohlenwerth des Holzes dem allgemeinen Bedürfniß in natura wieder anheimgegeben. Gerade darin liegt das Verdienst der Entdeckung und die Zukunft des neuen Leuchtgases, daß es keine Steigerung der Holzproduction erheischt, sondern sich damit begnügt, dasjenige was bisher bei der Verkohlung des Holzes in Meilern unbenützt in die Luft entwich, in Leuchtgas verwandelt zu sammeln und als Licht zu verwerthen. Ebenso wie mit dem Vorwurf wegen Holzvertheuerung verhält es sich mit allen übrigen gegen das Holzgas erhobenen Einwendungen, die wir bisher vernommen haben; zuletzt wurde die absurde |147| Frage aufgeworfen: ob sich das Holzgas wohl auf größere Strecken als es bisher im Bahnhof geschieht (etwa 1500 Fuß) wird leiten lassen? Es dürfte sich bald Gelegenheit darbieten, dieses thatsächlich zu beweisen. Es wird der Verbreitung des Holzgases wohl auch schwerlich in den Augen der Vernünftigen Eintrag thun, daß das Gas im Bahnhofe zu München einigemal minder gut leuchtete als gewöhnlich; denn daß ein Arbeiter durch unvorsichtige oder zweckwidrige Manipulationen hie und da schlechtes Gas macht, das kommt beim Steinkohlengase ebenso vor, wie beim Holzgase, und es war wirklich eine überflüssige Mühe, die sich ein Actionär der Münchener Steinkohlengas-Beleuchtungsgesellschaft in den Annoncen der Allg. Zeitung gegeben hat, wo er anzeigt, daß er das Holzgas sowohl mit sehr großer, als auch mit geringer Leuchtkraft brennen gesehen habe.
Das Holzgas ermöglicht in allen von den Steinkohlenlagern entfernten und nicht holzarmen Gegenden eine wohlfeile Gasbeleuchtung; wir bleiben daher der festen Ueberzeugung, daß in nächster Zukunft der Wunsch in Erfüllung gehen wird, mit welchem Pettenkofer seinen oben citirten Vortrag im polytechnischen Verein zu München schloß: „Möchte der Neugeborne auch ohne viele Wärterinnen am Leben bleiben, und dereinst ein kräftiger und nützlicher Geselle in der Werkstätte der vaterländischen Industrie werden.“
Dr. Emil Dingler.
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